Lesegruppe
Donnerstags, im Raum 116
Immer von 15.00 bis 17.00
Diesen Donnerstag gehen wir zuerst in die Gemäldegalerie und schauen uns die Ausstellung zu Historienmalerei an.
Ab nächsten Donnertag geht es dann um das Buch von
Peter Weiss: Aesthetik des Widerstands, von 1975
Wir lesen Ausschnitte daraus auf Deutsch und auf Englisch und zeigen dazu viele Bilder
Wir beginnen mit einem Abschnitt über Picasso - Guernica
Das Buch geht über eine Gruppe junger Kommunisten in Berlin in den 30er Jahren kurz nach der Machtergreifung der NSDAP. Zwei von ihnen gehen in den spanischen Bürgerkrieg, dann nach Paris. Es ist zugleich eine Geschichte von Leuten, die dauernd im Exil sind und im Widerstand in Nazideutschland.
Allerdings geht das Buch in der Hauptsache darum, dass die Freunde andauernd über Kunst reden. Je nach den Orten, wo sie sind, ist es der Pergamonaltar in Berlin oder Picassos Gemälde Guernica in Spanien. Das ganze Buch besteht aus diesen Unterhaltungen über Kunst. Es ist wie eine große Kunstgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart --- hier ist die Gegenwart der Krieg.
Es ist eine bürgerliche Kunstgeschichte. Die Unterhaltungen vollziehen ja die zeitliche Ordnung der bürgerlichen Kunstgeschichte nach, Antike, Rennaisance, Barock, der große Bruch in der Kunst mit der französischen Revolution, die Moderne...
Die Unterhaltungen vollziehen diese Geschichte nach und zugleich aber versuchen sie, sich die Kunstwerke anders anzueignen, die Kunstwerke anders – eben widerständig – zu begreifen.
Und da wird es interessant für uns....
Für uns, die wir an einer Akademie lehren
Und für euch, die hier lernen.
Die Akademie, die Museen, Ausstellungsräume, Galerien sind Institutionen, die Kunst zeigen und zugleich immer wieder definieren, was Kunst ist. Diese Definition ist so universell wie der Kapitalismus. Sie ist auf der ganzen Welt so gleich wie die Autos oder die Mobiltelephone und sie wird von einer gleichen gesellschaftlichen Schicht gekauft und betrachtet. Forderungen nach Diversität, nach Inklusion werden von dieser Schicht und von diesen Institutionen beantwortet, indem sie KünstlerInnen aus allen Erdsteilen, sexuellen Orientierungen, Hautfarben zeigt ... aber zugleich umdreht und sie – repräsentiert zu ihren eigenen Bedingungen. Diese Aesthetik lernt ihr hier an der Akademie. Das ist der Sinn der Akademie. Das sind die großen Enttäuschungen von Veranstaltungen und Ausstellungen, die eine Auflösung der Aethetischen Regeln versprechen und dann doch wieder davon eingefangen werden.
(Vielleicht war die letzte documenta ein Verstoß gegen diese Regeln der Inklusion.)
Den Freunden im Buch von Peter Weiss geht es nicht um Inklusion. Sie möchten kein Teil der bürgerlichen Gesellschaft werden, weil sie eine andere, eine kommunistische Gesellschaft erwarten. Sie möchten die Kunst für diese neue Gesellschaft lesen und neu begreifen. Das heißt aber, dass die Kunstwerke auf einmal frei werden. Sie sind nicht nur ein Teil in der Repräsentation der bürgerlichen Gesellschaft. Sie werden selbständig lesbar. Als Teil der kommenden Gesellschaft sind sie wie ein Schatz, wie eine Beute aus den Ruinen der alten Gesellschaft gewonnen.
Wenn wir dieses Buch lesen, dann kann es auch darum gehen, wie wir erneut und gerade jetzt Bilder lesen und begreifen können als Teil einer kommenden Gesellschaft. Wir können vielleicht sogar darin sehen, wie diese Gesellschaft aussehen kann. Und wir können unsere künstlerische Praxis anders begreifen, als etwas, das jenseits der Institutionen und ihrer Gegenwart etwas aufbewahrt, wie ein Schatz, eine Beute für die kommende Gesellschaft in einer Welt, die sich selbst zerstört hat.
Die Sprache in diesem Buch ist sehr schwer verständlich. Die Sätze sind sehr lang und die Wörter sind altmodisch und nicht mehr bekannt. Aber sie ist wie ein Fluß, in dem man schwimmen kann.
Reading group
Thursdays, in room 116
Always from 15.00 to 17.00
This Thursday we will first go to the Gemälde and look at the exhibition on historical painting.
From next Thursday, we will then be reading the book by
Peter Weiss: Aesthetics of Resistance, from 1975
We read excerpts from it in German and English and show lots of pictures
We start with a section about Picasso - Guernica
The book is about a group of young communists in Berlin in the 1930s shortly after the NSDAP came to power. Two of them go to the Spanish Civil War, then to Paris. It is also a story of people who are constantly in exile and in resistance in Nazi Germany.
However, the book is mainly about the friends talking about art. Depending on where they are, it's the Pergamon Altar in Berlin or Picasso's painting Guernica in Spain. The whole book is made up of these conversations about art. It's like a great history of art from antiquity to the present --- here the present is the war.
It is a bourgeois history of art. The conversations follow the chronological order of bourgeois art history: antiquity, Renaissance, Baroque, the great break in art with the French Revolution, modernism...
The conversations retrace this history, but at the same time they try to appropriate the works of art differently, to understand them differently - in a resistant way.
And that's where it gets interesting for us....
For us who teach at an academy
And for you, who learn here.
The academy, museums, exhibition spaces and galleries are institutions that show art and at the same time repeatedly define what art is. This definition is as universal as capitalism. It is the same all over the world, like cars or cell phones, and it is bought and viewed by the same social class. Demands for diversity, for inclusion, are answered by this class and by these institutions by showing artists from all parts of the world, sexual orientations, skin colors ... but at the same time turning them around and representing them on their own terms. You learn this aesthetic here at the Academy. That is the purpose of the academy. These are the great disappointments of events and exhibitions that promise a dissolution of the rules of aesthetics and then get caught up in them again.
(Perhaps the last documenta was a serious offend of these rules of inclusion).
The friends in Peter Weiss's book are not concerned with inclusion. They don't want to become part of bourgeois society because they expect a different, a communist society. They want to read art for this new society and understand it anew. But that means that the works of art suddenly become free. They are not just a part of the representation of bourgeois society. They become independently legible. As part of the society to come, they are like a treasure, like booty extracted from the ruins of the old society.
When we read this book, it can also be about how we can read and understand images again and right now as part of a coming society. Perhaps we can even see in them what this society might look like. And we can understand our artistic practice differently, as preserving something beyond the institutions and their presence, like a treasure, a booty for the coming society in a world of universal capitalism that has destroyed itself.
The language in this book is very difficult to understand. The sentences are very long and the words are old-fashioned and no longer familiar. But it is like a river you can swim in.